Ich stehe in der Umkleide der Sauna. Niemand hier. Ich ziehe mich an. Betrachte im hellen Neonlicht die feinen blassen Streifen auf meinem Oberschenkel. Keine Schwangerschaftsstreifen am Bauch, trotzdem dieser riesig war. Aber dann die letzten Wochen vor der Geburt, als das Wasser sich in meinen Beinen staute, diese feinen Linien, erst lila, jetzt weiß. Ich stehe versteckt hinter dem Pfosten und der halb geöffneten Tür meines Spints, deswegen sieht sie mich nicht. Ich schätze sie auf Anfang 50, als sie aus dem Duschbereich kommt und vor den Spiegeln, die auf dem Weg zu den Schränken hängen, stehen bleibt. Sie ist nackt, ihr Handtuch über die schmale Schulter geworfen. Was meinen Blick haften lässt, ist ihre verbissene Miene und ihre wiederholten Drehungen vor dem Spiegel. Sie wähnt sich allein, flucht leise und zieht den schlanken Bauch, der eine Mulde zwischen ihren Beckenknochen statt einer Wölbung formt, weiter ein. Betrachtet sich. Ist es immer so, egal in welchem Alter und egal mit welcher Figur? Dieses Diktat der Schlankheit und der straffen Haut, dem Frau nicht entkommt. Du kannst dich abgrenzen, dich versuchen davon frei zu machen, es kritisieren und manchmal auch vergessen, aber kommt man davon ganz los? Gern würde ich dies über mich behaupten. Wie eine Trophäe der Emanzipation. Manchmal ist es auch so, aber dann holt es mich ein. Ich habe in der Schwangerschaft 40kg zugenommen. Das ist nicht normal, zumindest steht das überall im Internet. Was soll das heißen, normal? Gesund? Ich war gesund, keine Schwangerschaftsdiabetes oder so, Kira bei der Geburt ein top fittes 4kg Kind. Groß, ja, schwer, auch. So schwer, dass die Gynäkologin bei der Aufnahme ins Krankenhaus vor der Geburt meinte mir sagen zu müssen, dass sie mir ja keine Angst machen wolle, aber dass es bestimmt nicht so einfach werden würde den dort raus zu kriegen. Nice one. Ist es normal, wenn Frau eine Minikugel auf Stelzenbeinen bis im letzten Drittel der Schwangerschaft vor sich her schiebt und drei Monate nach der Geburt wieder beim Ausgangsgewicht ist? Und ist normal gut? Gut ist, wenn du dich wohl fühlst. Aber das ist so verzwickt. Denn ich fühle mich natürlich wohl, wenn ich Komplimente bekomme (zumindest wenn sie nicht schleimig sind) und wenn ich dem internalisierten Ideal entspreche. Aber ist das gut? Ich weiß nur so viel, dass ich mich furchtbar schwer und behäbig fühlte am Ende der Schwangerschaft, wie ein Wal. Gestrandet auf Land. Aber ich mochte die Wölbung meines Bauches und die meiner nunmehr riesigen Brüste, eine Komposition von Rundungen und prallem Leben. Was ich nicht mochte, war die Unbeweglichkeit, die Müdigkeit und der säulenartige Umfang meiner Oberschenkel. Meine Füße so prall, dass ich die Riemen meiner Sandalen drei Löcher weiter stellen musste. Müde nach 20min Spazieren gehen. Jede Sitzposition unbequem. Dass ich jetzt darüber nachdenke, liegt daran, dass ich mich jetzt, nach fast anderthalb Jahren nach der Geburt, in meinem Körper wieder wohl fühle. Aber der Körper ist anders. Es gibt den Vorschwangerschaftskörper und den Nachschwangerschaftskörper, da muss ich mir nichts vormachen. Der Vorschwangerschaftskörper hatte feste kleine Brüste, die sich ohne BH hübsch unter meinem T-Shirt abzeichneten. Mit straffer Haut, die von der Spannkraft her wie die Haut eines hart gekochten Eies war. Zumindest ein bisschen. Ok, ich gebe zu, ich mochte meine Brüste. Sehr. Eva, die Freundin von Ina mag zum Beispiel ihre Füße. Sie betrachtet sie liebevoll und sagt: „Kuck mal, wie hübsch sie sind.“. So war ich mit meinen Brüsten. Jetzt erinnert der sensorische Reiz, wenn man über die Haut streicht eher an Pergament, zumindest an der Unterseite der Brüste. Zuviel Haut für zu wenig Inhalt. Aber vielleicht sollte nicht nur über vorher und nachher, sondern auch über das Währenddessen geschrieben werden, wenn schon einmal dabei. Und die verschiedenen Phasen des Währenddessen. Denn allein bei der Brust gibt es verschiedene Phasen. Die harte und schmerzend wachsende Brust am Anfang der Schwangerschaft. Zu schnell in zu kurzer Zeit. Die noch härtere und so schmerzende Brust, dass ich dachte, die Schmerzen am Anfang der Schwangerschaft waren eher ein Ziehen. Das war beim Milcheinschuss, also nach der Geburt, als durch den Hormoncocktail und Kiras Saugen nach drei Tagen die Milchbildung in Gang kam. Direkt nach der Geburt kommt ja nur komisches Zeug aus der Brust, die Vormilch. Der Magen vom Baby noch klein wie eine Erbse, kann sowieso noch nicht so viel aufnehmen. Dann die tropfende Brust, wenn die Milch da ist, im Überfluss, im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn du immer nass bist, Flecken überall, Babykotze, Babypisse, möglicherweise noch Wochenbettfluss (Blutungen) und dann diese Milchlecks, die Flecken über den Nippeln, die im Übrigen rot und wund sind. Dann später der Versuch langsam abzustillen und die Brust mit Milch gestaut, hart wie Stein, heiß und fiebrig und wieder so schmerzhaft. Heiße Dusche, Milch mit den Händen raus streichen, bis gelblich schleimige Flüssigkeit zäh aus einzelnen Milchdrüsen kommt, Eiter? Ich weiß es bis heute nicht. Weißkohlblätter aus dem Kühlschrank stampfen und auflegen, im Kreis um den Nippel. Über Nacht drauflassen und morgens dieser angenehme Geruch nach zwiebeligem Kohl, leicht erwärmt von der entzündeten Hitze der Brust. Deftig und definitiv nicht sexy, außer für jemanden mit einem ausgeprägten Sauerkraut Fetisch. Es soll ja alles geben. Milchstau kann man an allen Stellen in der Brust bekommen und je nach Stelle sollte das Kind (falls noch nicht komplett abgestillt) so trinken, dass der Stau am besten abfließen kann. Dies führt zu allen möglichen akrobatischen Versuchen zu stillen. Eine Freundin erzählte, dass sie auf allen Vieren Stillen sollte, das Kind unter sich platziert: „Da studierst du jahrelang, schreibst deine Dissertation und dann stehst du da wie eine Milchkuh. Ich hatte direkt Lust zu kotzen, aber ohne Wiederkäuen!“. Wenn du dann abgestillt hast, hast du das, was sich am ehesten als leerer schrumpeliger Luftballon bezeichnen lässt. Die Luft ist raus, die Milch auch und sonst auch alles irgendwie. Nach einigen Monaten lagert sich wieder Fett im Gewebe ein und sie werden wieder etwas praller. Ina sagt mir, sie fände meine Brüste immer noch toll, größer als früher, weniger straff, aber immer noch schön. Ich glaube es stimmt. Aber vorher war ich in sie verliebt, nun gewöhne ich mich an sie. „Das Leben ist passiert, Schatzi!“ lacht Ina und küsst mich mit einem Schmatz halb auf die Backe, halb auf den Mund.