
Manchmal ist Trauer bleierne Müdigkeit, schwer wie Sandsäcke. Ich bin so müde. Ich hole Kira aus der Kita. Was zum Teufel soll ich bloß mit ihm machen? Das sind diese Stunden, die man dann auf Spielplätzen verbringt, diesen komischen Orten, deren Rush Hour um 16h beginnt. Schlau platzierte Eisläden können um diese Uhrzeit Schlangen vorweisen, wie sonst nur Berliner Clubs. Es ist noch nicht 16h, erst 14h. Der Spielplatz ist leer, bis auf einige lärmende Schulkinder. Die ohne Kitaplatz sind jetzt zuhause, die fertig eingewöhnten Kinder noch in der Kita. Nach einer Stunde packe ich Kira und tausche zuhause Fahrrad gegen Kinderwagen. Wir gehen einkaufen, sage ich dem empörten Einjährigen, der wohl erwartet hatte, dass wir in unser Haus gehen, anstatt davor lediglich das Gefährt zu wechseln. Meine Müdigkeit ist auf dem Höhepunkt, da, wo sie in Kopfschmerzen übergeht. Aber einkaufen müssen wir, außerdem weiß ich nicht was ich sonst bis 19h (Babyschlafenszeit) noch alles machen soll. Keine Verabredung heute Nachmittag. Zudem ist mein Kühlschrank nicht gerade sinnvoll bestückt. Dinge, die aufwendig zu kochen sind oder Tupperdosen mit Dingen, die nicht mehr zu genießen sind. Windeln brauche ich auch. Wenn man seit Tagen keinen Appetit hat, fällt es schwer sich spannende Gerichte fürs Kind auszudenken, noch dazu, wenn das Kind spannend jeden Tag neu definiert. Also einkaufen. Mein kleiner Rucksack ist schon voll mit Kiras Kitazeug und allem was man zusätzlich so immer mit sich rumschleppt, Wickeltasche, Snacks, Jacke und irgendwie noch viel mehr. Obwohl ich mittlerweile super effizient im Packen bin, es ist immer viel. Und es wird noch mehr. Im Supermarkt stelle ich fest, dass ich alles brauche was in meinem Korb ist und er ist voll bis oben hin. Da ist auch so eine Sache. Leute ohne Kinder nehmen einen Einkaufswagen, mit Kind im Kinderwagen unmöglich. Also einen Korb. Der Korb ist zu klein für alles, zu schwer mit allem, zu unpraktisch sowieso. Kira meckert. Ich packe einen der Babyobstriegel, die ich gerade in den Korb gepackt habe aus und stecke ihn ihm in die Hand. Ruhe. Kind zufrieden. Also weiter. Das wird niemals alles in meinen Rucksack passen. Möglicherweise habe ich einen Beutel im Rucksack, fällt mir ein. Also alles raus, Beutel suchen, Glück gehabt. Ok, jetzt kann ich wenigstens alles transportieren. Der Weg nach Hause ist nicht das Problem, weil man ja alles im und auf dem Kinderwagen ablegen kann. Aber vor der Haustür dann der Versuch alles gleichzeitig zu tragen. Alle Mütter sind Packesel, denke ich. Wenn, wie ich meine, Sisyphos eine Mutter war, dann war er auch ein Esel. Das sind die Art wirrer Gedankenspiele, die mir durch den Kopf schießen, während ich versuche 12kg Kind, einen Rucksack, eine Tasche und Windeln gleichzeitig in den 3.Stock zu tragen. „Nach müd kommt blöd“, sagt eine meiner besten Freundinnen immer. Ich weiß nicht woher sie diese grandiose Lebensweisheit hat, aber auf mich trifft sie definitiv zu. Ich hasse es zweimal gehen zu müssen, denn das heißt auch zweimal mit Kira, also den 12kg. Weniger wichtige schwere Dinge lasse ich manchmal im Wagen und hoffe, dass die WG sie sieht und die Aufforderung erkennt, sie mir zu bringen. Funktioniert aber heute sicher nicht. Niemand da. Also alles auf einmal. Klappt, bis auf eine zerbeulte Milchpackung, die im zweiten Stock aus der Tasche fällt und einem Kratzer von Kira unter meinem Auge. Er nutzt natürlich die Gelegenheit auf dem Arm zu sein und beide Hände frei zu haben, während ich keine habe, um mit seinem wunderbar sauberen Kita-Spielplatzfinger mit den zu langen Nägeln (mein Fehler) mein Auge zu untersuchen. Dieser Aufstieg in die Wohnung ist prototypisch Mutter. Oben in der Wohnung heult Kira natürlich sofort, als ich ihn auf den Boden setze und beschallt mich wunderbar, während ich versuche schnell alles abzulegen. Der ganze Boden ist voller Spielzeug und neben der Tür stehen drei Mülltüten voll und schwer und stinkend. In den Mülleimern der Wohnung sind auch noch zwei. Mein System die Mülltüten erstmal im Hausflur zwischen zu parken wurde vor einigen Wochen von einer Nachricht auf meiner Mobilbox zunichte gemacht. Herr Horter von der Hausverwaltung sprach mir mit sonorer Stimme ins Ohr, als ich sie abhörte: Bei der heutigen Hausbegehung sei aufgefallen, dass vor meiner Türe vier Mülltüten, drei paar Schuhe und ein Skateboard stehen würden. Er habe größtes Verständnis dafür, wenn man einmal in Hundeglück getreten sei, dass dann ein paar Schuhe vor der Tür stehen würden, aber so gehe es leider bei allem guten Willen nicht. Er bitte mich inständig das wegzuräumen, nicht zu Letzt aus Brandschutzgründen. In seiner korrekten Stimme schwang die Verzweiflung seines inneren Konfliktes mich (er weiß natürlich was bei mir los ist) in meiner Situation rügen zu müssen und dennoch zutiefst im Glauben, dass die Hausordnung unter allen Umständen gewahrt werden muss. Also wieder runter, Kira im Tragesystem, Mülltüten in den Händen, fünf diesmal, schwer vom Gewicht in Windeln gebundener Flüssigkeit und anderen Resten des Lebens. Durch den idyllischen Hinterhof, indem sich Eichhörnchen und Vögel tummeln, schleife ich die Mülltüten hinter mir her und hänge meinen müden Gedanken nach. Irgendwie beruhigend sinnhaft, dass ich heute alles zu schleppen scheine, Sandsäcke, Einkauftüten, Müllsäcke. Und Kira trag ich auch.