
Gestern gab es den dritten Tag in Folge Pommes und er ist erst etwas mehr als 14Monate alt. Das Alter des eigenen Kindes in Monaten anzugeben ist die Eigenart der Spielplatzeltern. Niemand redet sonst so. Jungeltern in Neukölln und ihre Kücken. Scheinbar bekommt gerade jede eins, oder schon das zweite, was die Kitaplatzsuche für die sogenannten Erstgebärenden schier verunmöglicht. Unseren Platz haben wir dem Zutun von Freunden zu verdanken sowie dem Ausspielen der ultimativen Mitleidskarte: „Witwe 33 sucht Kitaplatz für Halbwaisen“. Aber zurück zu den Pommes. Die liegen in kaltem Fett erstarrt auf Kiras lila Teller mit freundlichem Dachsmotiv, daneben eine angenagte Tomate. Am anderen Ende des Tisches liegt haufenweise Kleingeld. Sollte das herunter fallen und von einem neugierigen Kind gefunden werden, was nichts lieber zu tun scheint, als kleine Brösel vom Boden zu essen, könnte das schnell meine Ängste, bezüglich des qualvollen Todes meines Kindes durch Ersticken, bedrohlich real werden lassen. Aber erstmal ist er ja in der Kita, endlich. Der ganze Tisch sieht aus, als hätten zehn Leute gestern hier gegessen und nicht nur eine Rabenmutter und ihr Kind. Tatsächlich habe ich nicht ganz allein mit Kira gegessen, sondern noch mit einem meiner besten Freunde. Es hört sich allerdings dramatischer und somit spannender an, wenn man schreibt allein und was sollte ein Blog schon anderes sein? Meine Freundin Karina meinte dazu gestern, meine eigentliche Aufgabe hier sollte es sein die Welt nachhaltig davon zu überzeugen, dass Rabenvögel keine schlechten Eltern, genauer Mütter sind. Denn um die Väter geht es ja sowieso nicht. Hashtag Rabenmutter. Möglicherweise ist die Abwesenheit der Väter als fürsorgliche Raben der Ursprung des faschistischen Charakters, grüble ich, während ich die Pommes und alles was sonst noch die Tischplatte verklebt in den Müll werfe. In den Restmüll wohlgemerkt. Ich trenne nur noch Plastik und Rest, ok Altpapier auch, aber keine Biotonne. Die stinkt sofort und ich habe das Gefühl meine Wohnung kann neben dem Geruch nach vollen Windeln, von dem ich denke, dass er latent in der Luft hängt nicht noch den säuerlichen Geruch verwesender Bioabfälle vertragen. Ich frage mich ob meine Gäste oder auch der Lieferandofahrer (der mit den Pommes) oder wer auch immer, ob sie, wenn sie die Wohnung betreten, kurz eine halbe Minute eingewabert werden von diesem Geruch nach Babykacke, ehe die Geruchsnerven fertig gefeuert und sich adaptiert haben. So wie man diese feine Mischung aus Katzenklo und Katzenfutter riecht, wenn man eine Katzenwohnung betritt. Man selbst riecht sich ja auch nicht, vielleicht habe ich deswegen schon den Sinn dafür verloren. Die Phantasie bleibt. Aber ich frage nie nach. So wichtig scheint es dann doch nicht zu sein. Oder eine Verdrängungsleistung. Dafür lüfte ich jetzt erstmal. Alle Fenster auf, in allen Zimmern außer dem einen und der erneute Versuch in einer Eckwohnung einen guten Zug zu erzeugen. Es scheitert wie immer, die Luft kann hier irgendwie nicht gut durch pusten, zirkulieren. Das ist es was man immer macht, jeden Tag oder Abend wenn das Kind weg ist oder schläft, die Wohnung irgendwie wieder in einen nicht klebrigen und nicht stinkigen Zustand zu versetzen. Der ewige Kreislauf. Der Ursisyphos ist, glaube ich, eigentlich eine Mutter. Wobei Pommes wegzuräumen als Strafe den Tod überlistet zu haben, wie Sisyphos in der Sage, nicht zutrifft, wenn man vor sechs Monaten den Partner an den Tod verloren hat. Am Samstag sind es sechs Monate. Nachdem ich letzten Monat begriffen habe, dass ich anscheinend immer um den 21ten einen besonderen Traueranfall bekomme, bin ich gerade etwas gespannt ob der nächsten Tage. Sowieso. Morgen stellen wir den Grabstein auf. Ich nehme die Wäsche ab und hänge direkt die nächste Ladung auf. Die hatte ich direkt nach dem Aufstehen angemacht. Im gute-Mutter Flow, direkt nachdem ich die Espressokanne auf den Herd gestellt hatte. Die latenten Fast-Food-Schuldgefühle direkt durch tatkräftige, perfekt durchorganisierte Haushaltsabläufe gebannt. An besonders erfolgreichen gute-Mutter Tagen räume ich natürlich die Küche abends auf und schmeiße die Dreckwäsche bereits abends in die Waschmaschine, sodass ich morgens schlaftrunken, weil wie immer zu früh wach, mich nur der Aufgaben Kaffee zu kochen und ihn zu trinken stellen und nicht noch Dreckwäsche zusammen sammeln muss, damit Kira nicht bei seinen betrunken anmutenden Gehversuchen ständig in schmutzigen Bodies oder vollgepinkelten Küchentüchern hängen bleibt.
Jetzt, nachdem ich mit dem Schreiben begonnen habe, ist mir etwas mulmig. Was möchte ich hier? Ist es der narzisstisch gefärbte Versuch gegen die eigene Vergänglichkeit zu posten, denn das Internet vergisst nie. Pseudoanonym veräußern was in mir lauert, wühlt, drängt? Was ist tröstlicher daran öffentlich zu schreiben als privat? Der Bezug zu einem schemenhaften Anderen, dem man erzählt. Erzählen um zu überleben. Um durch den Tag zu kommen, um Sinnhaftigkeit im morgendlichen Aufräumen kalter Pommes zu finden?