
Ich fliege. Euphorisiert. Die Linden wispern hinter mir im leichten Wind, als ich die Haustür öffne und in die Kühle des Treppenhauses rausche. Ich laufe, springe fast die Treppen zur WG, die in der Wohnung unter meiner wohnt, hoch. Der Staub in der Luft tanzt schimmernd in der Sonne, die steil durch die runden Fenster des Treppenhauses einfällt. Warm. Sommer, Sonne, immer noch. Wie lange noch? Es ist Mitte September und die Tage werden bereits kürzer. Heute ist nochmal Sommer. Ich hab es getan. Ich habe mich in die Sphäre des Online Datings gewagt. Vor stolzer Begeisterung versuche ich die Tür mit dem falschen Schlüssel aufzuschließen. Hoffentlich ist jemand da, ich muss mit den anderen reden, mein Hoch teilen, bevor es verfliegt und die nächste Welle mich in tiefere Sphären spült. Die Küchentür zu meiner linken ist zu, der Flur dunkel, als ich es geschafft habe die Wohnung aufzuschließen und reinkomme. Es ist ruhig, aber das sagt nichts. Was für mich Mittag ist, ist für die hier unten Morgen. An der Tür zur Küche kleben die Sticker der vergangenen 10 Jahre linker Szene in Berlin. Vom Arbeitskampf zum queeren Sternchen, ein kotzendes Einhorn ist auch dabei. Allesamt mittlerweile etwas mit dem klebrigen Staub fettigen Küchenabriebs bedeckt. Andenken. In der Küche sind sie tatsächlich. Mit breitem Grinsen falle ich sie an: „Ich hatte gerade ein Date. Bin grade reingekommen. Oh, ich wollte es euch direkt erzählen, ich bin so stolz! Ich hab es getan.“. „Hui, wie aufregend.“, pfeift Ina und strahlt zurück. Bene sitzt am Tisch, sein enthusiastisches Gesicht ist mein Durchschnittstagsgesicht, aber auch er lacht. „Oha, Erzähl!“. Ich erzähle von Kaffees in der Sonne, dem Wind auf dem Feld und vor allem von meiner Verblüffung über meine eigene Unaufgeregtheit zuvor und auch dann als der besagte Er dann kam. Die Aufregung kommt jetzt, aber es ist keine ängstliche die dir den Magen hochfährt und dir einen Stein in die Kehle legt. Es ist die ausgelassene freudige Erregung über meine eigene Fähigkeit. Die Fähigkeit raus zu gehen, froh zu sein, dem ersten Treffen mit einem Fremden mit angemessener vergnügter Neugier zu begegnen, anstatt sich in die Hosen zu machen. Wenn du ein Kind bekommst sitzt du erstmal meist in deiner kleinen Blase. In meinem Fall war es die rosa Blase ein Wunschkind zur gewünschten Zeit im Leben, mit dem Mann, mit dem ich dies wagen wollte, zu bekommen. Vor allem mit ihm. Nicht allein. Niemals allein. Nicht lief immer alles glatt, aber die kleinen Schwierigkeiten waren die Art von Störungen, die das ausreichend Gute (Winnicott Thank you!!) ausmachen. Dann kam erst die eigentliche Herausforderung, die Überforderung. Die Krankheit, die Pflege, der Tod. Und Kira immer dabei. 3Monate alt zu Beginn. Ich war nie draußen, außerhalb der Blase, deren Hülle nun nicht mehr aus schimmernder Seifenlauge bestand, sondern zum Gefängnis geworden war. Die Situation war das Gefängnis. Auch wenn man mit denen, die man liebt eingesperrt ist, bleibt man dennoch eingesperrt. Und wenn die, die man liebt, ein hungriges Stillkind und ein langsam dem Tod entgegen gehender, immer weniger klarer Mann sind, macht sich der Schmerz der Zerrissenheit breit. Das Gute war, dass ich fleißig Schlüssel zum Gefängnis verteilt hatte und alle kamen. Immer. Auch die beiden, die mir jetzt gegenübersitzen und lächelnd verstehen, warum es nicht einfach nur ein Date war.