Oh Tannenbaum

IMG_5916Zwei Paar Socken, Fleece unter die Winterjacke. Tagsüber in der Sonne war es schon kalt. Jetzt ist es dunkel. Klare Nacht. Eigentlich erst halb sieben. Dennoch. Draußen. Weiter weg als meine Stammkneipe um die Ecke, weiter weg als das Kino ein paar Straßen entfernt. So weit war ich seit anderthalb Jahren nicht mehr abends von zuhause weg. Ich lächle und atme die kalte Luft tief ein. „Müssen wir hier rein?“, der dunkle Boden, feuchte, festgetretene Erde. „Ja, hier rein.“. „Stimmt, da hinten ist schon das Feuer, der Schein, siehst du?!“, „Ja, nicht Australien?“. Der Witz ist so schlecht, aber Bene lacht trotzdem. Solange es nur hieß Überflutungen machte es mir schon Angst, aber Feuer. Möglicherweise gibt es einen Grund warum die Höllen der Christen brennen. Eine Urangst, archetypisch, zutiefst menschlich seit der Beherrschung des Feuers. Und nun. Seit Australien brennt stelle ich mir vor, dass wir alle in 20 Jahren nur noch mit Atemmaske raus können. Dystopisch. Realistisch? Dafür träume ich von Wasser. Das Eis ist geschmolzen. Einmal vor ein paar Tagen regnete es im Traum in meine Wohnung, die Fenster undicht. Gestern tauchte ich ein in ein Meer, türkis und hell. Ich sprang kopfüber leichtfüßig hinein und das herrlich frische Wasser umgab mich ganz. Schwerelos. Alles war klar und durchscheinend. Wir gehen den dunklen Pfad entlang, dem warmen Schein entgegen. Es lodert und regnet kleine Funken, als ein Kind einen der Weihnachtbäume, die gestapelt am Rand liegen hineinwirft. Kira im Kinderwagen. Strumpfhose, Hose, Schneeanzug. Schichten über Schichten und dann im Lammfellwagensack. Noch ist er wach. Wir treffen die anderen. Eine Gruppe. Begrüßen, drücken, alle Gesichter errötet von den warmen Flammen hinter uns. Wir trinken heißen Apfelsaft mit Rum und Glühwein, der angenehm unsüß schmeckt, im Wechsel aus Pappbechern, die wir uns, wenn sie leer sind erneut befüllen lassen. Die Person am Tresen sagt sie habe keine Ahnung was ein Schuß sei und meint ich solle mir den Rum selbst einfüllen. Ich erwidere lachend, ich hätte auch keine Ahnung und lächle dabei sie und den Typen in der Gruppe daneben an, der mir irgendwie bekannt vorkommt. So viele Menschen. Ich finde alle schön und alles toll, die Wärme, das Lodern, die erleuchteten Gesichter, den Funkenregen, den dunklen Himmel, die kalte Luft, das Lachen der Leute. Könnte ich hier bleiben, feiern, lachen, tanzen später vielleicht, mit dem Unbekannten reden, der nah am Feuer sitzt und dessen Blick meinen streift. Ich fühle mich lebendig, frei, freudig und strahlend. Die anderen diskutieren über transformative Justice als ich zurück komme und zeigen Kira das Feuer. Er liebt Lichter, Kerzen, sagt „Ker“ oder „Kerz“ und zeigt, wenn man diese anzünden soll. Aber das Feuer macht ihm Angst. Nicht wenn es ruhig vor sich hin brennt, aber wenn ein neuer Baum hinein geworfen wird und es hochschießt, prasselnd und fauchend die Nadeln und das trockene Holz verschlingt, so hell die lodernde Flamme. Kira weint, er kuckt direkt in die Flamme. Wir nehmen ihn aus dem Wagen, auf den Arm. Bene trägt ihn ein bißchen herum. Er schläft direkt ein. Ich nehme ihn Bene ab, lege ihn zurück in den Wagen. Er schläft. Stelle ihn ein Stückchen abseits, mit dem Rücken zum Feuer, aber so, dass wir ihn gut sehen können. Ari fragt ob es nicht zu kalt sei und Romy erzählt in Skandinavien würden die Kinder immer Mittagsschlaf draußen im Schlafsack machen, „Außer es werden -15 Grad“. Wir stellen es nicht in Frage und genießen, dass er schläft. Ich bin glücklich, voller Liebe für sie alle und strahle fremde Menschen an, die zurück lächeln. Das sind die Wellen des Glücks. Sie bricht als er beginnt zu quengeln. Ich schiebe den Wagen abseits der anderen ins Dunkle, neben dem Schild, das mit „Kompostklo“ beschriftet ist. Die Veranda des Wagens links davon leuchtet heimelig, mit rosaroten Laternen bestückt. Als Kira meine Stimme hört schläft er weiter. So niedlich sieht er aus, wie seine Nase unter der Mütze herausragt, die Augen geschlossen, unter Lidern mit langen Wimpern träumt er. Was träumen kleine Kinder?, frage ich mich und schaue ins Dunkel der Nacht, weg vom Feuer in das Wäldchen aus zierlichen Birken. Feingliedrige weiße Stämme umrahmt von nächtlicher Schwärze. Romy kommt dazu und bringt mir meinen Punsch. Stumm betrachten wir nun das Feuer. Wir lächeln uns an und dann weinen wir. Weinen weil er fehlt. „Er hätte das auch gemocht heute.“, sie nickt.

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