„Bist du alleinerziehend?“, fragt er mich. Fragt per Nachricht im DatingPortal. Ich vermeide es wenn möglich lange zu chatten. Schnell treffen. Nur dann kann ich wirklich abschätzen, ob ich eine Person mag, oder zumindest attraktiv finde. Hängt zusammen, bedingt sich aber nicht immer. Ich schreibe, dass ich alleinerziehend bin, aber nicht allein. Schreibe von meinen Freund*innen. Halte inne. Schreibe, dass es dennoch anders ist, als sich die Verantwortung zu teilen. Es ist ganz anders. Ich bin immer noch privilegiert. Die anderen kommen, wenn ich sie rufe, wenn ich sie brauche, aber die Morgende, die Abende, bin ich dennoch allein. Die Randzeiten. Heute Morgen schien der Januar von einem Hauch Frühling durchzogen. Ich trat aus dem Haus und zwei Handwerker standen da, schauten in den Himmel, ihre Arbeitsoveralls noch matt und dunkel im spärlichen Licht des Morgens. Aber der Himmel über den Häusern war erleuchtet. Ein Regenbogen quer über die Straße. Vom Giebel des einen Hauses zum Schornstein des anderen. Der Müll von Silvester liegt noch überall, Weihnachtsbäume dazwischen, trocken und nadelnd. Ich kickte einen zur Seite, der mein Fahrrad blockierte, setzte Kira in den Kindersitz. Als ich mich wieder umwandte, war der Regenbogen verschwunden. Aber die Luft war mild und es machte nichts, dass ich meine Handschuhe in der Wohnung vergessen hatte. Diese Milde ließ mich aufatmen, ich als würde eine Last von mir genommen. Leichtigkeit. Der Gedanke durchfuhr mich unwillkürlich, so würde ich mich vielleicht fühlen, wenn Johannes noch leben würde. Vielleicht auch nicht. Aber mit weniger Gewicht auf jeden Fall. 13kg wiegt er jetzt, Kira. Vielleicht hätte Johannes heute Morgen Kaffee für uns beide gemacht. So bringt mir Kira gerade stets eifrig die Milch aus dem Kühlschrank, wenn er sieht, dass ich mir Kaffee in meine Tasse schütte. Er klatscht, sobald er die Milch wieder in den Kühlschrank gestellt und die Türe zugedrückt hat. Patscht die kleinen Hände aufeinander, ich lächle dann. Wir chatten weiter. Aber der Elefant steht im virtuellen Raum. Was ist mit dem Vater? Er fragt nicht und ich schreibe nichts davon. Einmal hatte ich einen teasing flirty Chat, aus irgendeinem Grund kam das Thema auf. Schon in dem Moment, als ich die Nachricht abgeschickt hatte, in der das Absurde stand, „der Vater ist tot“, anders formuliert, leichter verdaulich aber trotzdem zu hart, schwarz auf weiß, wusste ich, dass dies gerade den Flirt getötet hatte. Ich hatte ihn getötet. Also ignoriere ich den Elefanten. Die Person scheint interessant. Wir teilen gemeinsame Themen, Inhalte. Wie erfrischend, dass es nicht ums Mutterdasein geht und nicht um den Tod, nicht um meine Trauer. Es regt meinen Kopf an. Bisher gibt es die offensiven Chats, sexuell eindeutig und verführerisch einfach und die inhaltlich anregenden. Geht beides zusammen? Oder braucht es gerade die Leichtigkeit der Oberflächlichkeit für mich im Moment? Das verletzte Herz schützt sich. Hätte ich eine versteckte Kamera könnte ich eine Bilderreihe starten, wie Männer kucken, wenn man ihnen beim ersten Date erzählt, dass der Vater des anderthalbjährigen Kindes, das man hat, vor nicht mal einem Jahr gestorben ist. Es amüsiert mich leicht. Ich darf nicht lachen, damit können sie nicht umgehen. Aber die Absurdität der Situation bringt mich zum Lachen. Es gibt da diese evolutionspsychologische These (nebenbei ich hasse Evolutionspsychologie), das Lachen eigentlich ein Zähnefletschen ist, eine Reaktion auf Inhalte die nicht zusammen passen, also Angst machen, eine Art Abwehr auslösen. Humor bannt und hält den Schmerz auf Distanz. Daran zumindest ist vielleicht schon etwas dran. Die einen reagieren geschockt, fragen dann aber nach oder fragen, ob es ok ist nachzufragen. Und dann gibt es die anderen. Das seltsamste war eine Person, die sagte: „Oh, I’m sorry.“ und dann nichts mehr. Ich meldete mich nicht mehr nach dem ersten Treffen. Bene sagt, ich sei ja nicht verpflichtet es zu erzählen. Das stimmt, aber ich kann es nicht nicht erzählen, außer ich würde mich treffen und mich gar nicht unterhalten. Das kann ich nicht. Außerdem müsste das woanders sein, als in meiner Wohnung. Denn hier steht der Elefant in jedem Raum und tanzt in meinem Kopf Chachacha. Die Unverbindlichkeit des Onlinedatings bringt es mit sich, dass ich entweder denke, es läuft gar nicht oder überfordert bin, weil ich mit fünf Leuten gleichzeitig schreibe. An meinen mackrigen Angeber-Tagen brüste ich mich, es sei eine Art Buffet. Ich kann mir aussuchen wer und wie und so viel ich will. Aber es bricht immer wieder an der Realität meines Lebens. Also spiele ich mit der Illusion. Meine Schwester Ari erzählte mir von ihrer Freundin Aliyah, die sich manchmal zum Spaß mit Männern trifft, mit denen sie eigentlich nichts gemeinsam hat. Einfach mal ausprobieren. Wir standen in einem alternativen Sexshop, der also nicht bloß Heterophantasien erfüllt. Hatten Kira die nicht besonders barrierearme Treppe im Kinderwagen hochgewuchtet. Die Verkäufer*innen starrten uns einen Moment lang an, es kommt wohl nicht so besonders oft vor, dass Kleinkinder diesen Laden aufsuchen. Ari und ich sehen aus wie eine queere Familie, sind wir auch, aber nicht so, wie die Leute dann denken. Wie die Person im Sommer im Freibad, die meinte sich sicher zu sein, wie seien doch das Paar, das sich in ihrer queeren Kita vorgestellt habe. Wir standen also inmitten von Strap-ons und Bondagematerial an der Wand kleine Skulpturen goldener Vulven. Die Verkäufer*innen hatten sich wieder gefangen und boten uns Tee an. Kira schlummerte nach 10min ein, von der Reizüberflutung und der leisen Musik eingeschläfert. Wir witzelten, dass wir das mit Kira jetzt noch machen könnten, wir aber in einem, spätestens in zwei Jahren den Absprung schaffen müssten. In seinem Sinne, aber auch, weil es echt strange wäre, wenn er in der Kita dann erzählen würde, das sich Tonkel Ari eine Gärte gekauft habe in einem Laden, in welchem an der Wand lustige kleine Penise aus Silikon hängen würden. Ari berichtete also von Aliyah und meinte, ich solle das doch auch mal machen, als ich ihr das Profil eines Typen zeigte, der aussah wie eine Mischung aus Buisnessmodel und Lenny Kravitz und mich angeschrieben hatte. Ich weiß nicht. Ich kann jetzt alles machen und nichts. Dirty Talk SMS während ich in der Kneipe mit Freunden bin oder Dates in der letzten Sekunde absagen, weil Kira hustet und nicht schlafen will. Die betreffende Person schon in der U-Bahn, aus dem Wedding angereist, „fast da“, schrieb er. Ich: „Sorry, aber es geht nicht.“. Ich denke darüber nach, dass es ein Spiel ist, eine narzisstische Zufuhr und Ablenkung. Eigentlich hat das Englische ‚to fall in love‘ Recht, kommt mir in den Sinn, in die Liebe fallen. Sich fallen lassen. Das ist zu tief. Also spiele ich, um nicht noch mehr zu fallen. Vielleicht ein Crush, aber nicht zu tief. Um den Fall zu bannen. Kontrolle. Morgen fahre ich mit Kira in den Tierpark, auch zu den Elefanten.