Der männliche Blick

Als sie kommt klingelt sie nicht. Sie weiß, dass Kira schläft. Mein Handy leuchtet, es ist noch auf lautlos vom ins Bett bringen. ‚Jolanda‘ strahlt mein Display auf. Ich drücke sie weg. Sie weiß, ich komme gleich runter. Ich bin quasi fertig. Die Jacke habe ich schon an, ich stehe im Bad vor dem Spiegel. Lippenstift. Die Farbe erhellt mein müdes Gesicht und lenkt mich von den Ringen unter meinen Augen ab. Als ich 15 oder 16 war hatte ich eine Phase, in welcher eines meiner Hauptziele war zu lernen, wie man den perfekten Lidstrich aufs Augenlid bringt und welche Schattierungen von braun meine Augen größer erscheinen lassen würden. Braun, weil blaue Augen dann blauer wirken. Mein anderes Ziel war es, alle Klassiker der Weltliteratur in Rekordgeschwindigkeit zu lesen. Ich flog über die Seiten Anna Kareninas tragischer Lebensgeschichte und merkte mir, dass unglückliche Familien die spannenden sind. Meine Heldinnen waren die Bronte Schwestern, die zwar jung gestorben, aber doch als Frauen Romane veröffentlicht hatten. Unter männlichen Pseudonymen versteht sich. Das mit der Schönheit ist so eine Sache. Kann mein inneres Schönheitsideal dem, vom männlichen Blick geprägten, herrschenden Ideal entkommen? Egal was, es ist nie genuin meines. Also drehe ich mich im Gedankenkarussell, in welchem Schüchternheit, der Wunsch nach Aufmerksamkeit, schlechtes Gewissen ob meiner Oberflächlichkeit, Begehren, eigene emanzipierte Lust am Spiel mit den Optischen mitfahren. Ja, auch die fährt mit. Sie sitzt neben dem schlechten Gewissen und tätschelt ihm beruhigend die Hand. Das Wissen ist immer noch da. Also trage ich den Lippenstift mit schneller ruhiger Hand gekonnt auf. Bene sagte mir, ich sehe mit knalligem Rot, das ins Pink übergeht und den hellblonden Haaren ein wenig aus wie eine Art komische Porzellanpuppe und darauf stehe er zumindest nicht. Ich hatte ihn gefragt. Ohne Nachfrage würde er es nie wagen, eine Meinung über das Aussehen einer seiner weiblichen Freundinnen abzugeben. Es verunsichert mich ein wenig. Mein angemalter Mund versteckt sich nicht schmallippig. Ich wähle trotzdem die Farbe. Heute will ich Himbeer und nicht nude. Im Rausgehen schaue ich kurz in die Küche und sage Eva Tschüß. Sie passt auf Kira auf. Ich stolpere fast die Treppen runter, weil ich noch etwas hektisch mein Hipbag danach kontrolliere, ob ich alles dabei habe. Vor der Tür, auf der nachtdunklen Straße unter der Laterne steht Jolanda und strahlt mich an. Es ist das erste Mal, dass wir ohne die Kinder zusammen abends Bier trinken gehen. Sie zieht ihre Stupsnase krauss und lacht, „Ich freu mich so. Ich hab den ganzen Tag gebangt, dass noch ne Nachricht kommt: Kind krank oder so. Oder, dass ich absagen muss, aber dann wurde es immer später und mir wurde klar, ich werde es zumindest nicht sein, die absagt. Mein Kind ist zwar krank, aber ich darf trotzdem raus. Juhuu.“. Ich erwidere das Lachen „Ja, ich kann es auch fast nicht glauben. Waren wir eigentlich seit die Kinder da sind schon mal überhaupt ohne die unterwegs? Also ich mein abends eh nicht, aber tagsüber? Ich glaub nicht, oder?“. „Ne, irgendwie nicht. Komisch eigentlich, dass wir uns trotzdem immer so gut unterhalten.“. „Ja, stimmt, ich glaub das liegt daran, dass die quasi gleich alt sind, sonst sind die Bedürfnisse immer so unterschiedlich wenn die Altersgruppen sich mischen und dann rennt man nur die ganze Zeit in verschiedene Richtungen. Uhh, ich freu mich auch.“. Wir steuern durch den Nieselregen die Straße entlang, vorbei an Kneipen, Coworking Spaces und Spätis. Passieren die Ecke an der wir vor 14 Jahren zusammen gewohnt haben. Die erste WG die ich in Berlin hatte. Wir trafen uns, sie hatte die Wohnung und zwei Zimmer zu vergeben. Ich war neu in der Stadt, sie auch. Nach 5 Jahren zog ich aus, sie auch, wir gingen unterschiedliche Wege, verabredeten uns nicht mehr und trafen uns gelegentlich zufällig auf der Straße. Wo bei anderen vielleicht gegenseitiges Schuldgefühl und Kränkung gewesen wäre, weil man sich aus den Augen verloren hat, war bei ihr immer echte Freude zu spüren, wenn wir uns über den Weg liefen und ein stilles gemeinsames Einvernehmen: Es passt gerade nicht, wir müssen unseren eigenen Weg gehen, die Prioritäten liegen woanders, aber ich mag dich. Und ich mag sie, immer noch. Wir trafen uns wieder als eine gemeinsame Freundin in der Stadt war und wir zusammen in die Kneipe gingen. Ich trank nicht, sie auch nicht. Ich war schwanger, sie auch, aber es war gerade ganz frisch und sie sagte es noch niemandem. Sie sagte sie mache Detox Wochen, was ich von ihr von früher kannte, also dachte ich nicht weiter darüber nach. Ich war schon über der zwölften Woche, also erzähle ich ihnen von der Schwangerschaft. Danach hielt der Kontakt. Erst sporadisch, dann wieder immer öfter. Wir tauschten uns über die Schwangerschaft aus, die Geburten, die Kinder und über das Leben. Beide froh, die andere wiedergefunden zu haben und beide froh, eine andere Mutter zu treffen, die man mag. Das ist nicht so einfach. Als das Leben zuschlug und Johannes erkrankte war sie da und blieb, unaufdringlich aber konstant. „Ich trinke GinTonic heute“, verkündet sie. „Ich fang mit Bier an und dann auch GinTonic.“, „Deal.“. Mit der Kneipe, die wir aufsuchen haben wir keine gemeinsame Geschichte. Ich war hier einmal mit einem Date vor einigen Wochen, davor Jahre nicht. Die Tische sind hölzern dunkel, das Licht schummrig, im Schaufenster leuchten die Meere eines Globus blau und die Kontinente so grün, als wäre alles von Regenwald bedeckt. Noch ist nicht viel los, wir setzten uns an einen der Tische. Im hinteren Raum, der durch eine Stufe vom Tresenraum abgetrennt ist, spielen drei Leute Kicker. Jolanda schaut kurz zu ihnen hinauf. „Ich liebe Kickern. Aber ich bin so eine Streberkickerin, die Einserschülerin, die sich nicht in der Welt draußen zurecht findet. Ich kann nur richtig gut auf den schnieken Bürokickern mit glattem Boden spielen. In der Kneipe stehe ich dann fast beleidigt da: Warum dreht sich die Stange nicht leicht, warum kann ich keine präzisen Stöße landen.“, lacht sie. Ich kann überhaupt nicht Kickern. Ich hasse Kickern, was vor allem daran liegt, dass ich es nicht kann. Und weil es so ein Männerding ist und ich mich dann schlecht fühle, weil ich es nicht kann und weil ich es hasse, dass ich das Klischee der Frau erfülle, die nicht Kickern kann. Das kommt noch aus der Schulzeit. Eigentlich könnte ich da langsam mal drüber stehen, denke ich und dass sich zumindest meine Beziehung zu Tischtennis über die Jahre entspannt hat. Claire, mit der ich schon in der Schule befreundet war, konnte das immer. Aber sie hatte einen älteren Bruder und der hatte das Equipment, um abseits des Pausenhofes zu üben. Ich hatte keinen Bruder und einen Vater, der mit uns Töchtern Ausgrabungen römischer Stätten besuchte und unseren Blick für besonders schön gearbeitete bunte Kirchenfenster schärfte, aber unsere möglichen Begabungen hinsichtlich männlich assoziierter Hobbies verkümmern ließ. Dafür kann ich gotische von romanischen Fenstern unterscheiden. Jolanda hat eine Firma aufgebaut, eine Firma, die als Kollektiv organisiert ist, in einer Branche des Turbokapitalismus. Sie waren zu Beginn viele Frauen, aber als es eine Zeitlang nicht so lief, wanderten die Frauen ab und Jolanda stand da, fast die einzige Frau mit zig Typen. „Da habe ich Kickern gelernt. Dann war ich so gut, dass ich das Ass war, dass bei den Firmenwettbewerben das entscheidende Siegtor schoss.“. Weil sie ähnlich tickt wie ich, war das einer der Siege, auf den sie besonders stolz ist. Jolanda ist eine kleine Person. Aber sie ist stark. Auf den ersten Blick hat sie, trotzdem sie Mitte 30 ist, etwas Mädchenhaftes. Aber sie ist erwachsen und gestanden. Das Mädchen ist ein Das. Im Saarländischen Dialekt auf die Spitze getrieben. Dort werden auch die erwachsenen Frauen mit Das gerufen. „Ist Das Ursula da?“. Er ist immer er. Der Junge, der Mann. Manche schütteln den Kopf: Übertriebene Sprachanalyse. Aber es macht etwas. Was genau. „Den Unterschied nicht repräsentiert zu sein.“, sagt Jolanda. Sie erzählt, wie sie versucht ihren Kollegen in ihrer männlich dominierten Branche zu erklären, was es heißt. Sie erzählt ihnen, dass es dich formt, wenn du als Heranwachsende die Zeitung aufschlägst und dich nicht repräsentiert siehst. In Macht, in Würden und Ämtern. Dass es der Unterschied der Selbstverständlichkeit ist, mit dem du dir Dinge nimmst, dass du immer auch den Blick der anderen im Kopf hast. „Ich wüsste gern, wie es ist heute aufzuwachsen. Ein bißchen was verändert sich ja schon, neben all dem Schlechten und dem rechten Backlash, geht trotzdem auch grade in der Mainstreamkultur ja auch eine Veränderung vor sich.“, „Allein die Vielfalt der Figuren in Serien. Wir hatten halt Gilmore Girls und es war schon krass, wieviel Redeanteil Frauen plötzlich hatten und so, aber die haben sich ja trotzdem die ganze Zeit in ihrer Heteroblase um Typen gedreht.“. Wir nicken beide und trinken den dritten GinTonic. Mir blüht morgen ein anstrengender Tag. Wenn ich am Wochenende abends trinken gehe und mich gehen lasse, das heißt, nicht kontrolliert nach einem, maximal zwei Bier, kleine Biere wohlgemerkt, aufhöre, dann ist der nächste Tag Durchhalten. Es ist nicht nur der Kater. Es ist vor allem zu wenig Schlaf. Wenn ich um eins nach Hause komme, geht es gerade noch so. Aber auch dann nur, wenn Kira gnädig bis um acht schläft, statt bis um sechs. Die neueste Angewohnheit von seiner Seite ist, dass ich ihn unter der Woche, wenn wir um kurz nach acht aus dem Haus müssen, wecken muss, weil er um halb acht immer noch friedlich schlummert. Am Wochenende dann, wenn er sehr gerne auch mal bis neun schlafen könnte, steht er regelmäßig um halb sieben auf der Matte. Nie schläft er die ganze Nacht in seinem Bett. Zwischen 2 und 4 Uhr will er zu mir. Eine zarte Stimme ruft meinen Namen. Durchs Babyphone höre ich sie. Er sitzt in seinem Bettchen, die Arme nach oben gereckt. Wenn er mich dann morgens weckt, heißt dass, er setzt sich auf und patscht mir gekonnt ins Gesicht, oder zieht mich an den Haaren. Manchmal kuschelt er sich auch wie eine kleine Wühlmaus ganz dicht an mich, bohrt seinen Kopf in meine Halsbeuge und gackert mir ins Ohr. Wir beschließen uns noch einen GinTonic zu teilen. Jolandas türkise Mantelbluse schimmert wie Bouretteseide. Sie betont ihre Augen. Als ich es ihr sage, im Tonfall des Kompliments das es ist, erwidert sie, „Das ist weil ich mich geschminkt habe.“. „Das ist mein Vortragsoutfit.“ fügt sie hinzu, „Irgendwie brauche ich da etwas zwar schickes, aber auch knallig-auffälliges, wie eine empowernde Verkleidung. Wenn nicht meine schüchterne Seite wäre, würde ich immer mit total auffälligen bunten Sachen herumlaufen. Ananas auf dem Kopf. Aber als ich mal mit einer pinken Perücke in die Firma ging, fiel mir irgendwann auf, dass es etwas von Sexparty hatte und das ging dann nicht so gut.“. „Wenn die wüssten, dass das noch gar nichts ist, du eigentlich gern mit ner Ananas auf dem Kopf kommen würdest.“, ich lache. Auch ich liebe die Verkleidung. Wäre es möglich hätte ich einen Tag kurze Haare, einen Tag lange, einen Tag Dandy, einen Tag Diva. Der Kompromiss mit dem stark entwickelten Selbstanteil in mir, der nicht auffallen möchte, führt zu einer weniger extravaganten Mischung. Jolanda kuckt in das Etikett ihrer Jacke, ‚Kupferfäden‘ steht da. Was auch immer das heißt. Ich erzähle ihr, dass ich Johannes Klamotten ausmiste. Es ist anstrengend. „Einen Tag dachte ich ganz beschwingt, ich hätte schon total viel geschafft, aber dann saß ich am nächsten Tag da und um mich herum war nur Chaos und es fühlte sich wieder so an, als wäre noch gar nichts geschafft. Wie kann ein Mensch nur so viele Socken haben. Die Hälfte davon ist durchgescheuert, aber die andere eigentlich noch gut. Ich hab sie trotzdem alle in einen Müllbeutel getan. Er hätte bestimmt gewollt, dass Sachen weiterverwendet werden, aber er hätte auch gewollt, dass ich mir nicht zu viel Arbeit mache. Und gefühlt 100 Hemden. Dabei hat er die nie getragen, oder super selten zumindest. Alle von seiner Mutter. Die hat ihm ständig Hemden geschenkt. Am liebsten würde ich sie ihr in einem riesen Packet zurück schicken. Die Blöde.“. Die Kneipe ist jetzt voll. Überall stehen Menschen und ein unwirsch drein blickender Mann sucht neben uns seine Jacke in dem Stapel, den andere auf dem Stuhl neben uns abgeladen haben. Er denkt die Sachen sind von uns. Jolanda dreht sich hilfsbereit um, eine Jacke liegt hinter uns auf dem Fensterbrett. Sie weiß, dass es seine ist. Sie reicht sie ihm freundlich, muss ihre Zigarette aber erst in die andere Hand nehmen. Der Typ kuckt, als hätte sie ein Loch in seine Jacke gebrannt, anstatt ihm umsichtig seine Suche verkürzt zu haben. „Das ewige für andere Mitdenken. Diese weibliche Sozialisation.“, sie drückt die Zigarette im Aschenbecher aus. Wir nehmen unsere Jacken und stehen auf. Die Kinder warten.

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