Kindercafé

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Manche Cafés diskutieren endlos darüber, ob es ein zu großer Schritt in Richtung Kindercafé wäre, wenn sie einen Wickeltisch hätten. Das hab ich nie ganz kapiert. Seit heute verstehe ich, warum man sich in der panischen Angst zum Kindercafé zu werden, zu Blüten der Ausgrenzung care-arbeitender Personen hinreißen lässt. Einen Wickeltisch zu haben, heißt Personen mit Kind die Möglichkeit zu geben ihrem Sprössling die Scheiße wegzumachen ohne, dass sich das Kind im Winter bei 5Grad minus den Hintern abfriert, weil die Wahl ist, es auf einer Parkbank zu wickeln oder den schnellstmöglichen Weg nach Hause anzutreten. Die Personen, die das meist machen sind natürlich die Mütter. Nur so nebenbei. Aber hätte ich ein Café, würde ich um nichts auf der Welt gern zum Kindercafé werden. Nicht nur zum Café in dem mal ausnahmsweise ein Kinderwagen in der Ecke steht und auch nicht nur zum Café mit Kinderspielecke, wobei man sich hier schon in gefährliche Nähe begibt. Wie ich gelernt habe, ist ein richtiges Kindercafé ein Café vor allem für Kinder. Ein Ort wo die Mütter (und zwei Väter in drei Stunden, ich habe gezählt!) hoffen einen Kaffee trinken zu können, möglicherweise den ersten am Tag, weil zuhause die Milch alle war, um dann eine halbe Stunde auf den Kaffee zu warten, während Nerven immer weiter offen gelegt werden, da die Lautstärke eher an einen Club und der Sauerstoffgehalt eher an eine Raucherkneipe herankommt. Und verdammt, es ist morgens um 10h und wir sind nüchtern und ohne, oder zumindest mit zu wenig Koffein im Blut. Blank liegen sie dann, die Nerven, wenn das eigene Kind nach einer Stunde heult, weil die versprochene Waffel immer noch nicht da ist, Aurora vom Nebentisch den Bagger nicht hergeben will und Wilhelm vom Tisch gegenüber gerade das Schaukelpferd die dreistufige Treppe zum Bällebad hinunterwirft, während seine Mutter dem anderen Kind mit dem man da ist erklärt, dass das Boot auf dem Tisch Wilhelm gehört und es deswegen nicht zum Spielen freigegeben ist. Alle heulen und am meisten Aurélie, die komplett in altrosa unterm Tisch hockt und sich seit 10min nicht überreden lässt hervorzukommen, obwohl ihre Mama sie die ganze Zeit so lieb bittet, weil sie müssen ja los und sie sogar Chérie nennt. Das ist das Vertrackte, man beginnt die meisten Mütter zu hassen, obwohl man ja auch eigentlich erstmal die Väter hassen könnte (oder oh, die Gesellschaft), die nicht da sind, augenscheinlich. Manchmal sonntags, ja, da trifft man dann plötzlich 8 auf einmal morgens auf dem Spielplatz an, aber die Vormittage unter der Woche gehören den Müttern. Wer gedacht hätte im Hipsterbezirk träfe man nunmehr nur Väter mit Kindern, hat sich getäuscht. Aber was soll man auch machen, wenn Christian (Jochen, Markus, oder wer auch immer) einfach mehr verdient? Wie soll man sich sonst die Miete hier noch leisten und das nicht mal bei einer 4-Zimmer Wohnung, nein, man quetscht sich, obwohl man sich früher vorgenommen hatte, nie ein gemeinsames Schlafzimmer, sondern jeder sein eigenes Zimmer, wenn man schon zusammen ziehen sollte, ja, aber da hatte man die Rechnung ohne den Wirt gemacht, beziehungsweise den Mietspiegel. Der Wirt hier, also in dem Fall die Wirtin rutscht gerade auf der broschierten Ausgabe der Raupe Nimmersatt aus und landet mit einem lauten Knall auf dem Hintern, der alle kurz verstummen lässt. Ich frage mich, wie sie das aushält. Welche Verkettung unglücklicher Ereignisse hat dazu geführt, dass sie ein solches Kaffee eröffnet hat. Und, mag sie ihre Arbeit? Claire raunt mir die gleiche Frage zu und wir schauen uns schulterzuckend an. Andererseits habe ich mich seit Langem nicht mehr mit einer meiner Freundinnen mit Kind so lange im Beisein der Kinder unterhalten. In der Öffentlichkeit, mit Kaffee. Und das in ganzen Sätzen und mit mehr als einem Satz zu einem Thema. Meist führen Treffen mit Kindern dazu, dass man sich einzelne Sätze hinwirft, dann wieder dem einen Kind hinterherrennt um dann das nächste Thema mit dem nächsten Satz zu streifen. Themen, Gedanken, Erlebnisse, wie Bälle einander zugepasst aus dem vollen Lauf heraus, die Augen dabei dem Kind folgend: „Kira nicht die Schere!“, „Lass den Pfefferstreuer stehen!“, „Nicht auf die Straße!“, „Nicht hauen!“. Hier spielen die Kinder, kommen auf den Schoß, spielen wieder. Möglicherweise ist es doch ein Ort für uns, denke ich und beuge mich zu Claire vor, um besser zu verstehen, was sie mir von ihrem neuen Job erzählt. Mit erhobener Stimme, um über altrosa-Aurélies kreischendes Weinen hinweg zu mir zu dringen.

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